Fototechnik

Nach Godard
Foto: Laura Hartmann
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Dipl.-Des. Clemens Mitscher
Funktion
Lehrkraft für besondere Aufgaben
T +49 (0)69.800 59-279
Isenburger Schloss, Raum CD3/CD12
Wie lernt man eigentlich fotografieren?
Auswirkungen
Wer fotografiert, wird immer davon getrieben, etwas zu schaffen, das den kurzen Augenblick des Auslösens überleben soll.
Mein erstes Foto machte ich 1960 als Fünfjähriger. Ich fotografierte meinen Großvater in einem Schrebergarten bei steil stehender Sonne, die einen starken Schatten unter seine Hutkrempe setzte. Als ich die Fotografie später geschenkt bekam, war ich fasziniert davon, den Großvater, den ich sonst immer nur in den Ferien sah, auf einem Bild nun für immer präsent zu haben. Ab sofort wurde die Agfa Isola 2, eine einfache Mittelformatkamera der 50er-Jahre, mein Spielzeug. Oft öffnete ich den rückseitigen Kameradeckel, legte mich im Gras auf den Rücken und hielt die Kamera weit von mir gestreckt gegen die Sonne. Wenn ich den Auslöser drückte, öffnete sich kurzzeitig ein Loch und es gab einen kurzen Lichtblitz. Die Stärke des Lichtes konnte ich über zwei Schieber am Objektiv verändern. Mit dem einen Schieber konnte man entweder die Zahlen 6,3 oder 11 einstellen, mit dem anderen die Zahlen 100, 30 oder den Buchstaben B. B gefiel mir immer am besten, denn dann blieb die runde Öffnung so lange offen, wie ich drückte. Ich brachte durch Ausprobieren in Erfahrung, dass die eine Zahlenreihe etwas mit der Zeit und die anderen Zahlenreihe etwas mit der Größe der Öffnung zu tun hatte. Mittels der Einstellung B konnte ich sogar von hinten durch das Objektiv schauen, vorausgesetzt, die Kamera befand sich in einem ganz bestimmten Abstand zu meinen Augen.
Was mich wirklich verblüffte: es stand nun alles auf dem Kopf. In etwa so habe ich eine Kamera kennengelernt und durch pure Neugierde auch die Blende und die Belichtungszeit begriffen. Am wichtigsten war jedoch die Erkenntnis, dass ich mittels der Fotografie in der Lage war, etwas dauerhaft zu machen. Zehn Jahre später, die Kamera war inzwischen in meinen Besitz übergegangen, besuchte ich mit der Isola mein erstes Rockfestival in Germersheim. In der Nacht, in der Pink Floyd das vorletzte Mal ihr Album »Atom Heart Mother« live spielten, machte ich – neugierig, was passieren würde – alle Bilder mit der Kameraeinstellung B. Durch die Langzeitbelichtung aus der Hand entstanden in Folge nur bunte Streifen – im Nachhinein die wohl einzig adäquate visuelle Umsetzung dieser Nacht.
Die Kamera hat kein Gehirn
Nur der Fotograf
Auch die perfektesten Algorithmen einer Kamera-Programmautomatik sind nur vom Menschen zusammengefasste endliche Handlungsabläufe, die seit der Erfindung der Fotografie bekannt sind, in die man jedoch nun nur noch sehr beschränkt eingreifen kann. Eine Kombination aus Zeit- und Blendenautomatik liefert zwar ein schnelles Ergebnis, doch man verliert hier gänzlich einen Bezug zum Verhältnis von Lichtintensität, Belichtungszeit oder Tiefenschärfe. Eine Kamera macht jedoch erst ohne Automatik exakt das, was man von ihr will – vorausgesetzt man weiß, wie sie aufgebaut ist und wie ihre Komponenten im Verbund funktionieren. Je genauer wir die Kamera einstellen können, umso perfekter wird das Ergebnis.
Von Studierenden, die sich für die Fotografie als Gestaltungsmittel entscheiden, erwarte ich, dass sie sich neben den Kursen zu den technischen Workflows auch selbständig mit der Fototechnik befassen. Wer die Kamera nur dann benutzt, wenn eine gestellte Aufgabe zur Realisation ansteht, hat nicht die richtige Einstellung. Ohne ständige Erfahrungsprozesse, wie eine Kamera in den unterschiedlichsten Situationen reagiert, wird man sich niemals professionalisieren können. Das setzt den Willen voraus, sich ständig mit der Kamera und dem Licht, ohne das keine Aufnahme zustande kommt, auseinanderzusetzen.
Grundsätzlich sollte jede reale aber auch jede gedankliche Konstruktion durch Inszenierung fotografierbar sein.

Nach Godard
Foto: Tobias Kasan
Beginner
Analoge Neugierde
Das Wecken von Neugierde ist ein wichtiger Bestandteil der fotografischen Workflows. Sich überraschen lassen, wie eine Kamera funktioniert, erstaunt sein, wie im Fotolabor auf einem Film ein Silberbild entsteht oder verblüfft sein, welche Effekte man im Fotostudio mit Licht erzeugt, sind nur drei Beispiele, wie man sich auf Dauer für die Fotografie begeistern kann. Zu Beginn jedes Fotografie Workflow 1 Kurses wird eine analoge Hasselblad-Kamera vollständig auseinander genommen, um den Studierenden die mechanischen Eigenschaften und das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten zu veranschaulichen.
Die Idee dahinter ist, dass diejenigen, die das Produktionsmittel Kamera technisch begreifen, es auch werden handhaben können, um schließlich in der Lage zu sein, es innerhalb der verschiedensten gestalterischen Kontexte anzuwenden und zu reflektieren. Es geht aber auch um Emotionen und Empfindungen, wenn Studierende schon zu Beginn des ersten Semesters mit der Aufgabe nach draußen gehen, um sich in Kleingruppen mittels der Hasselblad-Kamera selbst zu inszenieren. Keiner weiß vorher, ob alles funktionieren wird. War der Film richtig eingelegt? Wurde die Belichtung korrekt gemessen? In dieser von Neugier und Unsicherheit geprägten Situation lernt man nicht nur die Kamera kennen, sondern auch seine Gruppenmitglieder. Ein wenig davon landet dann immer auch dauerhaft auf dem Film.

Flavored with Rumpsteak
Film
Veruschka Bohn
On Stage

Burg Herzberg Festival
Foto: Mattis Kuhn
Wenn du zwischen der kreischenden Menge und der Bühne gefangen bist, rast dein Blut direkt auf den Auslöser der Kamera. Bist du gut, kommst du nie wieder raus. Bist du schlecht, erfriert die Mechanik und niemand wird sich an dich erinnern.
Die Unterrichtseinheit On Stage wurde im Sommersemester 2010 zum ersten Mal als Pilotprojekt für die technisch orientierten Workflow-Kurse 2 und 3 der Fotografie eingeführt. Eine Szene in Michelangelo Antonionis Klassiker »Blow Up«, in der Jeff Beck in einem Londoner Club seine Gitarre zertrümmert, war der Auslöser für das Projekt, das seither im Abstand von zwei bis drei Semestern angeboten wird. Anfänglich ging es nur um das intuitive Erlernen von Kameraeinstellungen und Bildkompositionen sowie das zügige Arbeiten in einem fotografischen Prozess unter möglichst schweren Bedingungen, denn Rockkonzerte liefert einem genau das: Schnell wechselnde Lichtverhältnisse auf der Bühne und Kameraeinstellungen, die im Dunkeln vorgenommen werden müssen. Bildkomposition ist nur möglich, wenn man Bewegungen der Bandmitglieder sowie Bewegungen von Licht vorausahnt. Es verbleibt nur wenig Bewegungsspielraum. Wer es schafft, die Rock & Roll Bühne mit der Kamera blind zu beherrschen, wird auch andere Aufnahmesituation gut meistern können.
Nach den ersten von Studierenden fotografierten Konzerten wurde schnell klar, dass es hier um mehr gehen muss, als nur die Kamera zu beherrschen. Vielmehr wurde klar, dass zum einen die Untersuchung der Körpersprache der Interpreten eine erhebliche Rolle bei technisch-gestalterischen Strategieentwicklungen spielen muss, da Gestik, Mimik und Habitus einen entscheidenden Einfluss auf die visuelle Rezeption hat, zum anderen die Bedingungen kritisch hinterfragt werden müssen, unter denen heutzutage bei Konzerten überhaupt fotografiert werden kann, denn die Auflagen durch Managements und Agenturen sind hart. In der Regel darf nur während der ersten drei Songs eines Konzertes fotografiert werden, eine erhebliche Einschränkung für die Fotograf_innen, denn gestalterisch wertvolle Konzertbilder können nur dann entstehen, wenn der Fotografierende genug Zeit hat, einstudierte Posen von natürlichen menschlichen Regungen zu unterscheiden. Spontaneität bei der Aufnahme ist dennoch unabdingbar, denn selten lassen sich die Lightshow, die Performance, die Befindlichkeit der Band oder das allgemeine Zuschauergefühl vorhersehen. Alle diese Faktoren bestimmen aber den Freiraum der Fotograf_innen bei einem Konzert und zwingen diese, sich schnell an die Stimmung anzupassen, mit Sensibilität zu erfassen, wann es sich anbietet zu fotografieren und wann Zurückhaltung angebracjt ist. Je näher der/die Fotograf_in zum Menschen im Interpreten vordringt, um so intensiver wird das Erlebnis bei der späteren Betrachtung des Bildes ausfallen.
Unterrichtsziele des Kurses sind neben der Vermittlung der theoretischen und technischen Grundlagen der Digitalfotografie samt ihrer Bearbeitung in Photoshop und Lightroom die Förderung von Eigenverantwortlichkeit sowie die Entwicklung von Teamgeist in einer ansonsten stark auf den Einzelnen fokussierten künstlerischen Ausbildung.
Doch was sind eigentlich gute Rock-Fotografien, wenn Unschärfe, grobes Korn, Rauschen, Disharmonie, Verwackeln, aus dem Bild ragende Körper oder Überbelichtung schon lange zum Standardrepertoire der Rock-Fotografie gehören? Nicht nur hier, sondern auch in der inhaltlich geprägten oder bildgebenden künstlerischen Fotografie, kennt man neben dem technisch perfekten Bild auch alle diese Fotofehler als Gestaltungsmittel.
Als sich Pennie Smith nach der Filmentwicklung das erste Mal das Foto anschaute, das später für das »London Calling«-Cover von The Clash benutzt werden sollte, stellte sie fest, dass es unscharf war und konnte sich nicht vorstellen, dass es je für das Cover Verwendung finden würde. Doch die Band war unnachgiebig. Sie wollten es unbedingt, da Schärfe immer relativ ist. Ähnlich erging es Jerry Schatzberg. Nachdem er mit Bob Dylan die mit Mittelformat im Studio realisierte Fotosession für das »Blonde On Blonde«-Cover beendet hatte, ging er mit Dylan noch einmal mit einer Kleinbildkamera nach draußen. Er belichtete einen Film und bis auf drei Aufnahmen waren alle scharf. Bob Dylan entschied sich jedoch für eines der unscharfen Fotos und es wurde für das erste Cover überhaupt verwendet, bei dem eine Fotografie ohne zusätzlichen Text durchgängig die Vorder- und Rückseite eines Albums ummantelte.

Peter Gabriel
Foto: Laura Brichta

Dewolff
Foto: Urs Daun

Radio Moscow
Foto: Martin Kreitl

Adicts
Foto: Jaewon Chung
Studierende On Stage
Aline Toussaint, Andreas Thürck, Camilo Brau Alvarado, Carina Böhler, Christopher von Harbou, David Gonter, Dominik Dresel, Elena Osmann, Felix Kosok, Florian Albrecht-Schoeck, Franziska Kronmüller, Hanke Wilsmann, Houda Moqaddem, Jaewon Chung, Janine Baechle, Jochen Stierberger, Johannes Lenzgeiger, Jonas Osmann, Kathrin Stößer, Kim Lotte Stöber, Kyung-Ho Peter Sun, Laura Brichta, Luisa Fosco, Lukas Kaross, Malte Sänger, Marc Krause, Marcus Lüttgau, Markus Neunobel, Marlene Benet, Martin Kreitl, Matthias Lawetzky, Mattis Kuhn, Merlin Flügel, Miguel H. Graetzer, Nastasja Zecevic, Nicolas Ritter, Nikolaus Kockel, Nora Mohr, Oliver Rossol, Pascal Breitenbach, Philipp Grünewald, Raffaela Fehrekampf, Richard Pruss, Robert Schittko, Robin Klußmann, Rudi Weissbeck, Sandra Höner zu Bentrup, Sepehr Samadian, Sertan Satan, Sophia Igel, Sulamith Bereiter, Theresa Büchner, Tilmann Aechtner, Tim Stieffenhofer, Urs Daun, Valerie Eisenmann, Veruschka Bohn

Roxy Music
Foto: Malte Sänger
Timeline On Stage
2009
- Entwicklung des Lehrkonzeptes Stage-Photography
2010
Stage-Photography 1.0
- Vortrag Didi Zill (Bravo Fotograf) in der HfG
- Ausstellung auf dem HfG Rundgang mit Katalog
- Exkursion zum Burg-Herzberg-Festival
- Ausstellung auf der Photokina in Köln
Kataloge
- Burg-Herzberg-Festival
- The Brew at Burg-Herzberg-Festival
- Jeff Beck at Burg-Herzberg-Festival
- New Model Army at Burg-Herzberg Festival
- Hawkwind at Burg Herzberg Festival
2011
Sommersemester: Stage-Photography 2.0
- Launch Website www.stage-photography.com
- Artikel »Musik sehen« in der Photo Presse
- Exkursion zum Melt! Festival
- Exkursion zum Berlin Festival
- Imagefilm über die Melt! Festival Beteiligung
- Katalog: »stage-photograpy.com at Melt Festival 2011«
- TV Beitrag über das Projekt in ZDF Kultur
- Besuch der Pop-Akademie Baden-Württemberg
- Vortrag George DuBose (Rock Fotograf) in der HfG
- Ausstellung im Rock und Pop Museum, Gronau
2012
Sommersemester: Stage-Photography 3.0
- Lüften Festival Frankfurt
2013
Sommersemester: Stage-Photography 4.0
- Exkursion zum Mailfeld Derby Festival, Mannheim
- Exkursion zum Haldern Pop Festival
- 1 Million Seitenzugriffe auf der Projektwebsite im Dezember 2013
2014
Sommersemester Stage-Photography 5.0
- Umbenennung in On Stage
- Exkursion zum Maifeld Derby Festival, Mannheim
- Exkursion zum Freak Valley Festival, Siegen
- Exkursion zum Haldern Pop Festival
- Ausstellung On Stage im Frankfurter Hauptbahnhof
- Ausstellung On Stage im Kölner Hauptbahnhof

Andre Williams
Foto: Miguel Graetzer
News
Handy, Heim, Heimat
Für das digitale Sommersemester hat der HfG-Fotolehrer Clemens Mitscher ein Seminar entwickelt, bei dem Studierende ausschließlich mit ihren Mobiltelefonen fotografieren sollten. Herausgekommen sind 30 Fotobücher, die das Leben in Corona-Zeiten sehr unterschiedlich reflektieren.
HfG-Alumnus auf Erfolgskurs
Sechs Monate nach seinem Diplom geht es rund bei Alumnus Malte Sänger: Seine Arbeiten wurden in die Art Collection Deutsche Börse aufgenommen, er hat einen Fotobuchpreis gewonnen, gehört zu den Preisträger_innen bei »gute aussichten« und wurde zu »Plat(t)form 2019« eingeladen.
ON STAGE erstmals in den USA
Im Rahmen des Kurses »ON STAGE« waren Studierende der HfG zusammen mit Clemens Mitscher (LfbA im Lehrgebiet Fototechnik) auf dem dreitägigen Levitation Festival in Austin/Texas, um die Musiker_innen bei ihren Live-Performances zu fotografieren.
HfG-Studenten fotografieren Kultband
Die britische Psychedelic Rock-Band »The Crazy World of Arthur Brown« um den avantgardistischen Sänger Arthur Brown wurde von den HfG-Studenten David Gonter, Robert Schittko und Kyung-Ho Sun neu in Szene gesetzt.
On Stage
23. März bis 2. April 2015 ist die Ausstellung On Stage im Hauptbahnhof Halle (Saale) zu sehen.
On Stage
Seit vielen Jahren führt Clemens Mitscher als Lehrer für Fotografie und Technik Kurse für Stage Photography an der HfG Offenbach durch. Ab September 2014 werden die Ergebnisse als Wanderausstellung in den Bahnhofshallen deutscher Großstädte gezeigt. Die erste Ausstellung mit...